SOZIOLOGE SIEHT KAUM UNTERSCHIED: "BEI GENERATIONEN WIRD SPALTUNG OFT HERBEIGESCHRIEBEN"

Angeblich fehlt der Generation Z die Anstrengungsbereitschaft, dafür sind die Boomer besserwisserisch und anmaßend. Es scheint so, als verliefen zwischen den Generationen tiefe Gräben. Der Soziologe Martin Schröder untersucht die angenommenen Unterschiede wissenschaftlich und kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis: Es gibt sie nicht.

Martin Schröder: Es gibt einen guten und einen schlechten Grund. Der gute Grund ist, dass wir sagen: Die jungen Menschen sind doch anders. Anders als früher und anders als die Alten. Und das ist auch so! Das heißt nur nicht, dass es Generationen gibt.

Es erklärt sich eher durch Altersunterschiede und dadurch, dass jetzt alle anders sind als früher. Der zweite und sozusagen der schlechte Grund ist, dass wir gern diskriminieren. Inzwischen haben wir aber gemerkt, dass Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder sexueller Orientierung zwar verführerisch, aber falsch ist. Wenn wir das Ganze über eine Generation machen, dann scheint uns das jedoch weniger schlimm. Dadurch wird es aber nicht besser.

Es gab diese Idee, dass man die Gesellschaft und bestimmte Einstellungen mit Generationen erklären kann, schon in den 1930er Jahren von Karl Mannheim. Er hatte auch ein gutes Argument, weil ihm aufgefallen war, dass jene Altersgruppe, die im Ersten Weltkrieg war, ihr Leben lang Traumata hatte, die alle anderen nicht hatten. Das wäre so ein typischer Generationeneffekt. Weil ich zu einer bestimmten Zeit geboren wurde, geht es mir so und das wird mein Leben lang so sein. Und meiner Generation geht es anders, als es allen anderen geht. Das kann man eben nicht mit diesen Alterseffekten und auch nicht mit generellen gesellschaftlichen Veränderungen erklären. Nur wer alt genug war, um im Ersten Weltkrieg diese furchtbare Erfahrung zu machen, war auch geprägt davon. Das Problem ist, dass diese Idee jetzt von unterschiedlichen Gruppen vermarktet wird, die daran ein privatwirtschaftliches Interesse haben.

So herausragende Erlebnisse, wie sie bestimmte Geburtsjahrgänge im Ersten Weltkrieg hatten, sind in den vergangenen Jahrzehnten einfach nicht mehr passiert. Jetzt wird beispielsweise argumentiert, die einen haben Whatsapp geschrieben und die anderen noch SMS. Oder die einen haben "Harry Potter" gelesen und die anderen nicht. Daraus wird geschlussfolgert, dass bestimmte Generationen ganz anders sein müssen. Und das trifft bei uns auf offene Ohren, weil wir gern diskriminieren möchten. Deshalb nimmt unser Gehirn das gern auf, weil es endlich wieder eine Kategorie gibt, die uns das Leben einfacher macht. Dazu kommt noch, dass junge Menschen heute ja tatsächlich anders sind als die alten und auch tatsächlich anders sind als früher. Aber das sind eben Alters- und Periodeneffekte.

"50 Prozent der jungen Leute sagen, sie sind nicht leistungsbereit"

Kurz gesagt sind das zwei Faktoren: Junge Menschen sind anders als alte und wir alle denken anders als früher. 40-Jährige waren schon immer anders als 20-Jährige und niemand denkt jenseits der 30 noch so wie mit 13, jedenfalls wünsche ich jedem so eine Reifung. Negativ gedreht wird man vielleicht auch ein bisschen spießiger oder konservativer. Aber so oder so würden wir deswegen nicht von Generation sprechen, sondern einfach sagen: Menschen verändern sich mit dem Alter. Wenn also 50-Jährige und 20-Jährige offenkundig unterschiedlich sind, dann ist das noch lange kein Generationeneffekt, sondern war schon immer so. Und man kann vermuten, auch der 20-Jährige wird mit 50 ein bisschen konservativer sein, als er jetzt ist. Einstellungen mit dem Lebensalter zu erklären, ist aber etwas anderes, als zu sagen: Weil ich irgendwann geboren wurde, werde ich mein Leben lang so sein. Der zweite Effekt ist gesellschaftlicher Natur. Wenn man in den 1980er Jahren gefragt hätte, sollen Schwule heiraten, hätten die allermeisten Menschen Nein gesagt, jetzt sagen fast alle Ja. Das kann auch kein Generationeneffekt sein, denn fast alle Menschen haben dazu ihre Meinung geändert, nicht nur bestimmte Generationen. Deswegen ist das eben kein Generationeneffekt, aber wir verwechseln es damit.

Der typische Fall, den man immer wieder hört: Bei den Arbeitgebern bewerben sich jetzt die 20-Jährigen, die wollen eine Viertagewoche und sind anders drauf. Die typische Erklärung lautet: weil sie eine andere Generation sind. Wenn wir diese Alters- und Periodeneffekte ernst nehmen, müssen wir aber zwei andere Erklärungen dafür bemühen. Nämlich: 20-Jährige waren schon immer weniger heiß auf lange Arbeitszeiten als die 45-Jährigen. Das war aber auch schon vor 30 oder 40 Jahren so. Und wenn man sich in der Belegschaft nicht nur die 20-Jährigen anschaut, sondern auch die 40-Jährigen und die 50-Jährigen, würde man feststellen, dass auch die jetzt nicht mehr so heiß auf lange Arbeitszeiten sind wie früher. Diese sogenannten Alters- und Periodeneffekte sind eher das, was die Daten zeigen, als zu sagen, da ist eine Generation und die hat auf einmal eine andere Einstellung als eine andere Generation.

Genau das ist der Punkt. Fast alles, was wir an der jungen Generation beobachten, ist eigentlich nur ein Symptom für eine Veränderung, die in der gesamten Gesellschaft vor sich geht. Darum ist es auch wenig überraschend, dass man diese Veränderung ebenfalls bei den jungen Leuten sieht.

Die Aussage "Frauen haben weniger Lust zu arbeiten" ergab früher gefühlt auch Sinn. Weil die Erwerbstätigenquote von Frauen geringer ist als die von Männern und der Anteil der Teilzeitarbeit höher als bei Männern. Daraus könnte man schließen: Frauen wollen wohl weniger arbeiten. Nur liegt das nicht per se am Frausein, sondern es liegt an allem Möglichen, an mehr Care-Arbeit, schlechten Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, unattraktiven Steueranreizen. Genauso ist es bei diesem Generationenpunkt, der eine Realität beschreibt, die vom ersten Eindruck her richtig ist. Aber man erklärt sie mit den falschen Gründen und zieht deswegen auch die falschen Konsequenzen. An dem Frauenbeispiel sieht man: Wenn die Kinderbetreuung besser ist, sind mehr Frauen berufstätig. Und wenn man die Care-Arbeit hinzurechnet, arbeiten Frauen oft mehr als Männer.

Ganz genau. Aber dazu muss man sagen, bei vorherigen Gruppierungen hat das auch trotzdem geklappt. Wir haben lange gesagt, wir sind die Deutschen und werden immer eine Erbfeindschaft mit den Franzosen haben, weil das zwei grundlegend unterschiedliche Gruppen sind. Oder wir sind die Männer, wir sind völlig anders als die Frauen oder wir sind die Weißen, wir sind völlig anders als die Schwarzen. Das sind alles Kategorien, die mal da waren und die wir überwunden haben, vielleicht funktioniert das bei Generationen auch. Ich halte das nicht für unmöglich.

Man kann die Generationeneinteilung natürlich machen, solange niemandem daraus Nachteile entstehen. Also, solange man nicht im Bewerbungsgespräch sagt, die sind anders drauf, die stelle ich deshalb nicht ein. Ein anderer Faktor, wo ich mein eigenes Argument einschränken würde, ist so was wie Musikgeschmack. Es kann ja sein, dass die Leute in den 90er Jahren auf Raves gegangen sind und diesen Musikgeschmack im Gegensatz zu anderen Kohorten durch ihr Leben tragen. Das ist aber auch egal, weil in aller Regel niemand aufgrund seines Musikgeschmacks eingestellt oder nicht eingestellt wird. Ein weiterer Punkt, bei dem ich mein Argument ein bisschen einschränken muss, ist die Messung. 2021 war die letzte Umfrage, die Befragten müssen mindestens 18 sein. Das Früheste, was ich messen kann, ist also jemand, der 2003 geboren wurde. Das heißt, alles, was danach passiert ist, kann ich nicht wissen.

Genau. Messbar war das Verhältnis von Kindern zu ihren eigenen Eltern noch nie so gut wie jetzt. Auf die Frage "Sind deine Eltern auch deine Freunde?" haben noch nie so viele Ja gesagt. Also es gibt diesen Austausch, er ist wichtig, und ich sehe ehrlich gesagt auch keinen Grund, warum der jetzt schlechter sein sollte als vorher. Ich denke, dass Spaltungen oft herbeigeschrieben werden. Und das scheint mir auch bei dieser Generationensache der Fall zu sein.

Das wird nicht funktionieren. Ich merke ja selber, dass ich da auch immer wieder dran klebe. Wir können ihn vielleicht als Abkürzung benutzen. Wenn wir keinen Graben darum ziehen, sondern einfach sagen: Das hilft mir ein bisschen, dich einzuordnen, mir ein Bild zu machen. Es sollte nur an dem Punkt aufhören, wo ich Entscheidungen treffe, die Menschen besser oder schlechter dastehen lassen.

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